Die Mars-Chroniken

Science Fiction – das sind zur Zeit vor allem Endlos-Serien, Cyberpunk-Romane und die allseits beliebten Dystopien à la Tribute von Panem. So war das nicht immer. Es gab eine Zeit, da ging es bei Science Fiction noch um den einfachen, kühnen Traum der Menschheit: In eine Rakete steigen, ins All fliegen und einen fernen Planeten erobern.

So auch bei Ray Bradbury. 1950 veröffentlichte er einen Kult-Klassiker: Die Mars-Chroniken, eine Sammlung von Erzählungen über die Besiedelung des Planeten Mars durch die Menschen.

Wer wütende Aliens, Laserpistolen und Star Wars-taugliche Raumkreuzer erwartet, ist bei den "Mars-Chroniken" fehl am Platz. Es gibt keine blutige Technologie-Schlacht in Bradbury's Vision. Die Probleme mit den "Marsianern" und ihrem Planeten sind von ganz anderer Art.

Ob die irdischen Erkundungstrupps zu armen Irren erklärt werden, geliebten Verstorbenen begegnen oder zwischen Ruinen an ihrem eigenen Menschsein verzweifeln – letztlich haben Bradbury's Eroberer vor allem mit einem zu kämpfen: mit sich selbst. Philosophie, Religion, Wissenschaft und Kultur stapfen mit den Menschen durch den feindseligen marsianischen Staub. Ebenso wie Gewalt, Eitelkeit und der Irrglaube, das Zentrum des Universums zu sein.

Die Anekdoten sind mal spielerisch, mal skurril, mal beängstigend und mal sehr tiefgründig. Zwischendurch gibt es eine Verbeugung vor dem großen Edgar Allan Poe. Und einen Querverweis auf Bradbury's anderes Meisterwerk, Fahrenheit 451. Nicht jede Erzählung ruft Begeisterung hervor. Spannbreite, Erzählton und Botschaft sind sehr verschieden. Dennoch ist allen der typische, leicht gruselige Bradbury-Zauber zu eigen. Erstaunen, Schönheit und Gänsehaut liegen nah beieinander. Viele Kapitel sorgen für einen gedanklichen Nachhall und kratzen an größeren Fragen, als es zunächst den Anschein hat.

In der Fachliteratur werden Parallelen zwischen den "Mars-Chroniken" und der Eroberung Amerikas durch den Weißen samt Vertreibung der Ureinwohner gezogen. Man kann die Erzählungen aber auch als Studie über die Natur des Menschen sehen: Über seine Träume und Hoffnungen, vor allem aber über seine Schwächen und immer wiederkehrenden Fehler. Hochmut kommt vor dem Fall. Das müssen auch die Eroberer schmerzhaft lernen. Ebenso die Lektion, dass man zwar eine neue Welt besiedeln kann, die alte aber trotzdem nicht unbedingt hinter sich lässt.

Rufus Beck, der Meister der Dialekte aus den Harry Potter-Hörbüchern, legt bei den "Mars-Chroniken" mal eine ganz andere Platte auf. Entsprechend dem melancholischen Adagio des Hörbuchs, erzählt er in ungewöhnlich langsamem Tempo und mit gebotener Zurückhaltung. Er lässt der Szenerie den Raum, unterstreicht sie mit einem sinnierenden Tonfall. Da kann man die karge, erschreckende Erhabenheit des fremden Planeten sogar hören.

Hier geht's zu den Top 10 Sci-Fi-Romanen über die Kolonisierung des Mars