Matthias, wenn man sieht, wie viele Hörbücher du bereits gesprochen hast, fragt man sich, wann du damit angefangen hast?

Während meiner Ausbildung zum Schauspieler am Max-Reinhardt-Seminar in Wien habe ich meinen Eltern, Freunden und Verwandten häufig eigene Gedichtaufnahmen geschenkt. Ob das alle so toll fanden wie ich, weiß ich nicht, aber mir hat das riesigen Spaß gemacht. Ich begann dann für den ORF zu sprechen und wurde dort zum festen Sprecher.

Du hast auch bei einigen Hörspielen mitgesprochen. Gibt es darunter eine ganz besondere Produktion, an die du dich gerne erinnerst?

Ich denke die aufregendste Produktion, bei der ich bisher mitgemacht habe, war das Hörspiel Otherland von Tad Williams. Das war eine wirklich große Sache und etwas ganz Besonderes für mich.

Wenn ich über ein sehr kritisches Thema ein Hörbuch gesprochen habe, habe ich manchmal das Gefühl, ich müsste sofort auf der Straße gegen unser Wirtschaftsystem demonstrieren...

Es fällt auf, dass du viele Sachbücher mit gesellschaftlichen Themen gesprochen hast. Ist das Zufall oder interessierst du dich ganz besonders für Politik und Wirtschaft?

Tatsächlich war und bin ich politisch sehr interessiert. Dass dann eine intensive Zusammenarbeit mit Verlagen begann, die vor allem ernstere Themen veröffentlichen, war eher Zufall. Ich bin sehr froh darüber, denn viele Bücher, die ich spreche, treffen absolut meinen Nerv.

Heißt das, die Texte, die du liest, bewegen dich?

Auf jeden Fall! Mancher Text hat auf mich eine tiefe Wirkung. Wenn ich über ein sehr kritisches Thema ein Hörbuch gesprochen habe, habe ich manchmal das Gefühl, ich müsste sofort auf der Straße gegen unser Wirtschaftsystem demonstrieren oder eine Bank sprengen, so sehr bewegen mich die Themen manchmal.

Wie das mit der Bank sprengen geht, lernst du ja in den Thrillern, die du liest...

Ja, genau! (lacht). Also ich habe gerade tatsächlich eine tolle Mischung aus Sachbüchern, Thrillern und etwas Science Fiction. Diese Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten liebe ich. Seit einiger Zeit spreche ich übrigens auch Fantasy Romane, das mag ich ganz besonders!

Das werden unsere Hörer gerne lesen! Kannst du uns einen Titel empfehlen?

Den Autor Scott Lynch mag ich ausgesprochen gerne. Er hat die Trilogie Die Lügen des Locke Lamora geschrieben, eine tolle Geschichte! Kurz gesagt geht es um Diebe, die eine sehr elegante Art haben an ihre Beute zu kommen. Die Geschichte spielt in einer fantastischen Welt, die an Venedig erinnert. Oft empfinde ich den Text wie eine Kamerafahrt mit faszinierenden und zauberhaften Bildern.

Womit könnte man dich als Sprecher herausfordern?

Klassiker, wirklich gute Klassiker! Ich würde gerne mal Fontane lesen oder klassische französische Literatur in einer guten Übersetzung. Nur wen interessiert das heutzutage? Ich befürchte, diese Hörbücher verkaufen sich leider nicht und so bleibt das wohl ein unerfüllter Traum.

Wo bist du im Augenblick zu hören oder zu sehen?

Ich spiele im Theater der Keller in Köln in Wir lieben und wir wissen nichts von Moritz Rinke. Dieses Theater ist gerade ein sehr angesagtes Theaterhaus in Köln. Hier werden zeitgenössische Autoren sehr publikumswirksam inszeniert. Dann spiele ich auch wieder in Wien mit bei Alma von Paulus Manker, dem Erfolgsstück über Alma Mahler Werfel. Natürlich sind dazwischen auch immer wieder Hörbücher, die ich einspreche, und dann habe ich ja auch noch meine Sprecherschule.

Du hast eine Sprecherschule? Interessant! Erzähl uns davon!

Ich unterrichte Stimmbildung und habe vor einiger Zeit eine Sprecherschule gegründet. Ich lehre und lerne gleichzeitig dabei, denn ich glaube an der Stimme lernt man nie aus. Das Führen, die Nuancen in der eigenen Stimme, das eigene Timbre und die eigene Erzählweise, all das kann man bewusst entwickeln. Während des Sprechens kommt man nach und nach zu sich selbst. Dann kann man sich auch auf verschiedene Bilder, die man erzeugt, verlassen. So wächst mit der Zeit das Bewusstsein dafür.

Manche Produktionen stehen online, obwohl man sie nicht besonders mag. Hast du solche Hörbücher oder Produktionen?

Ja klar, das ist manchmal furchtbar! Manchmal höre ich mir Sachen an und denke, gut, das ist gelungen. Doch wenn ich dann sehr viel später noch mal reinhöre, kann es passieren, dass ich denke: „Oh Gott, was habe ich denn da gemacht?“ Früher hätte ich gesagt, „Was soll’s - Schwamm drüber! Das verschleift sich im Lauf der Jahre.“ Von wegen, das Netz vergisst nichts! Das ist auch grausam, aber damit muss man leben.

Ich brauche weder Kneipe noch Kinofilm. Ich komme nach der Arbeit einfach gerne nach Hause.

Matthias, du hast lange in Wien gelebt, jetzt lebst du in Köln. Fühlst du dich angekommen?

Ja, diese Stadt macht es einem sehr leicht, sie zu mögen. Köln ist zwar nicht so ästhetisch wie Wien, aber die Atmosphäre hier ist unglaublich freundlich und ich fühle mich mit meiner Familie hier sehr wohl. Inzwischen liebe ich sogar den Karneval!

Was machst du am Liebsten nach einem harten Tag im Studio?

Ich komme wahnsinnig gerne nach Hause! Wenn ich es schaffe, mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern zu Abend zu essen, bin ich glücklich. Wir haben ein wunderschönes, etwas schräges Häuschen im Kölner Süden. Garten und Pferdekoppel liegen vor der Tür, das ist doch wie Urlaub mitten in der Stadt und ich bin dann zufrieden. Ich brauche weder Kneipe noch Kinofilm. Ich komme nach der Arbeit einfach gerne nach Hause.

Matthias, vervollständige bitte diese Sätze: Wäre ich kein Schauspieler geworden, wäre ich...

... auf einem Boot! Ich wäre dann vielleicht Skipper, oder einfach Abenteurer. Jetzt mal im Ernst: In einem anderen Leben wäre ich wohl gerne Architekt geworden. Ich hab ein unglaubliches Interesse für Architektur und es schmerzt mich in der Seele, wenn ich in manchen Straßen fürchterliche Bausünden sehe. Dann denke ich nur noch „Wegsprengen, wegsprengen!“

Köln ist die Stadt die...

...draußen stattfindet, auf der Straße, die voll ist mit Leben und Leuten, die Leben und Leben lassen.

Der größte Traum, den ich je hatte, war...

...als Schauspieler zu leben. Ich bin wahnsinnig gerne das, was ich bin und ich bin glaub ich da genau richtig, wo ich bin.

In 30 Jahren sehe ich mich...

...irgendwo am Meer. Ich sitze am Meer und schreibe Bücher. Das ist ein schöner Traum von mir.

Alle Hörbücher mit Matthias Lühn - Synchronsprecher findet ihr hier.